Nach einer kleinen Arbeitspause, wo wir Scottische Caramell Candies und Milchdrinks angeboten bekommen, geht der Kampf mit der Schlammbeseitigung weiter. Unterdessen läuft die Oma unentwegt herum, als ob sie etwas suchen würde. Tatsächlich sehe ich sie etwa später andächtig dasitzend. Ich gehe zu ihr hin um herauszufinden, was sie gefunden hat. Ich traue meinen Augen nicht, sie hat eine buddhistische Götzenfigur in ihrer Hand und sucht weiter nach abgebrochenen Einzelteilen. Ich frage neugierig was sie da habe und sie erzählt, dass es eine wertvolle chinesische Gottheit ist. Nicht weit weg davon entdecke ich den dunkelrot brauen Kasten oder besser gesagt, den zu dieser Gottheit gehörenden Hausalter. Als Christ bin ich natürlich wieder eher verwirrt und auch enttäuscht über ihren Fund. Aber das ist halt Japan, ich kenne das Land ja schon seit 20 Jahre und immer wieder stosse ich auf dieselben Merkmale, über 80 % der Japaner sind Buddhisten und Shintoisten, d.h. sie haben ihre eigenen Hausgottheiten, die sie verehren und selbst ihre verstorbenen Familienmitglieder wohnen in Urnen in den Häusern.
Jetzt auf einmal begreife ich noch einmal wieder neu, warum diese Menschen ihr Haus nicht verlassen können und stattdessen bereit sind, in einer total verschlammten und verdreckten Gegend weiter wohnen zu bleiben. Welch ein Schicksal und welch eine starke innere Gebundenheit an dämonische Mächte diese Japaner zwingt trotz allem auch noch in ihren Häusern auszuhalten, das erahne ich langsam. Aber wo sollen sie auch hin? Es ist eh nicht genug Platz im Land für die vielen heimatlos gewordenen.
Gegen 17 Uhr haben wir es dann geschafft. Der grösste Teil des Hauses ist vom Schlamm befreit, der Boden wird mit einer Art weissem mehlartigen Sand überstreut, das soll desinfizieren. Nun muss alles erst einmal einige Wochen austrocknen, bevor mit den weiteren Reparaturarbeiten begonnen werden kann. Es müssen Schreiner her, die bereit sind die Häuser zu sanieren. Die Frau kann mir nicht sagen, ob es in der nächsten Zukunft solche Facharbeiter gibt.
Unsere männlichen Helfer haben sich für heute schon verabschiedet, da kommen wir drei Frauen nochmals ins Gespräch und am Ende frage ich, ob ich noch beten dürfte. Nur unter Tränen kann ich diesmal schweren Herzens ein Gebet sprechen, denn selbst mir fehlen die Worte, bei all dem Elend, was ich heute gesehen habe. Da wo kein Mensch recht trösten kann, stelle ich die beiden Frauen und ihre Verwandten unter den Schutz und Trost des lebendigen Gottes der Bibel. Zum Abschied liegen wir uns weinend in den Armen. Es fällt mir schwer diese von der jüngsten Naturkatastrophe so hart getroffenen Menschen allein zurückzulassen. Wie werden sie die kalte Nacht und Einsamkeit in dieser verwahrlosten und so schrecklich verwüsteten Gegend verbringen? Das ist mir ein Rätsel. Ich würde auf jeden Fall die Flucht vorziehen. Nun wird es auch schon langsam dunkel, und wir Helfer müssen zurück zu unserem Quartier. Ein unvergesslich zweiter trauriger Tag liegt hinter mir.
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